von Léonna Wex
PROJEKTITEL: ERFAHRUNGSRAUM
Projektbeschreibung
Auf den nachfolgenden Fotos ist ein Modell (20x20x30 cm) abgebildet, welches aus Holzleisten besteht, die mit Plexiglas verklebt sind. Der dadurch entstehende Raum besitzt auch einen Boden aus dem erwähnten Material und ist an einer Seite offen, welche in Echtgröße als Eingang/Öffnung benutzt werden kann.
Die Umsetzung des Modells, ebenfalls mit Holzleisten und Plexiglas, welche verschraubt werden, richtet sich in seinen Maßen nach der Größe eines durchschnittlichen Schülers, einer durchschnittlichen Schülerin der jeweiligen Altersgruppe. Es soll erreicht werden, dass diese, würden sie den Raum betreten während der Raum aufrecht steht, nur leicht gekrümmt stehen können, um durch die Wände in eine veränderte Körperhaltung gebracht zu werden. Liegt der Fokus, siehe die Ausführungen unten zu den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten des Raumes, gänzlich auf etwas anderem als Selbstwahrnehmung, Umgang mit z.B. Ton als Material etc. und zum Beispiel auf der Abhandlung von Lichteinsatz als künstlerisches Mittel und deren Wirkung, dann kann auf die gebeugte Körperhaltung natürlich auch verzichtet werden und eine Größe, die einen aufrechten Stand der/s Schülerin/Schülers zulässt, kann ebenfalls fruchtbar sein.
Zudem ist zu bedenken, dass das Plexiglas im richtigen Lichteinfall Spiegelungen zulässt, dass Gehen – eventuell sogar barfuß – auf dem genannten Material eine sehr eigene Daseinswahrnehmung provozieren kann und dass der Raum selbstverständlich von allen Seiten von Mitschüler/innen einsichtig ist sofern er nicht im Laufe des Prozesses teilweise oder gänzlich abgedeckt/beschmiert wird.
Es handelt sich um ein konzeptuelles Denkwerk, welches Erfahrungen und Erkenntnisse ermöglichen soll.
Ziel ist es, SchülerInnen aus Neugierde körperlich sinnlich Erfahrungen zu machen und diese geistig und konzeptionell in der Gruppe zu diskutieren, Erkenntnisse zu abstrahieren und philosophisch diskursiv zu verhandeln.

Einsatzmöglichkeiten
Wie bereits angedeutet, ist der Raum in jeder Jahrgangsstufe vielfältig einsetzbar. Unterschieden werden muss lediglich in der Tiefe und Abstraktion der Besprechung des Erlebten und Erkannten.
Meiner Vorstellung nach kann es besonders fruchtbar sein, den Raum in derselben Schülergruppe ein zweites Mal auf eine gänzlich unterschiedliche Weise zu bespielen, um die große Spannbreite an Möglichkeiten erlebbar zu machen, welche ein so offenes Konzept bietet, das in der jeweiligen Form jedoch äußerst konkret werden kann, wenn dies provoziert wird.
Die Gruppengröße ist flexibel und bestimmt lediglich methodische Unterschiede in der Ausführung eines Raumaspektes. So können beim Thema Selbst- und Fremdwahrnehmung bei einer größeren Gruppe unter Umständen weniger SchülerInnen die Selbstwahrnehmung ausprobieren und es muss ein größerer Fokus darauf gelegt werden, den Austausch zwischen den einzelnen „Testpersonen“ und den SchülerInnen, welche lediglich zuschauen, gelegt werden, um auch bei letzteren entsprechend eine Erfahrung zu verankern. Der benötigte Zeitraum richtet sich flexibel nach dem jeweils behandelten Aspekt. So könnte die Untersuchung des Aspektes „Licht und Schatten“ in einer Doppelstunde passieren und in einer weiteren Doppelstunde kann der Auftrag folgen, selbst in einem Miniaturraum eine Lichtinstallation aufzubauen. Aus der gemachten Erfahrung mit dem Raum kann stets der zusätzliche Schritt folgen die gesammelten Erkenntnisse selbstständig ein eigener Form umzusetzen.
Grundsätzlich ist der Raum von mir so gedacht, dass grundlegende künstlerische Themen, wie Raum, Licht, Umgang mit Material an sich, Begriffsklärung der Performance, Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung, Exklusion und Inklusion als prägender Bestandteil jeder Kunst und gesellschaftliches Phänomen, welches sofort auf einen Gegenstand übertragen beziehungsweise an ihm ausagiert werden kann, abgehandelt werden.
Auf jeden Fall ist ein großes Potential des Raumes, den Spieltrieb der Jugendlichen anzuregen und genau auf die aus der Schülergruppe heraus aufkommenden Fragen und Anregungen einzugehen. Es ist also auf jeden Fall ratsam, auch wenn man einen bestimmten Stundenablauf mit dem Raum geplant hat, andere Einsatzmöglichkeiten dessen im Hinterkopf zu behalten um die Spontaneität, die der Raum zulässt, direkt in einem Nebenaspekt nutzbar machen zu können. Denkbar ist neben den gleich folgenden Ausführungen natürlich auf jeden Fall auch, die Führung im Umgang mit dem Raum weitgehend komplett an die Schüler/innen abzugeben und ihn lediglich als Anlass der freien Erkundung künstlerischer Mittel und Wirkungen bereit zu stellen, wobei weitere Anregungen wie bereitstehende Lichtquellen, Materialien etc. sich griffbereit befinden sollten.
Fragen und Anreize können von Seiten des Lehrers/ der Lehrerin miteingebracht werden, soweit sich keine von selbst ergeben.

Auswahl von Aspekten des Raumes aus meinem Blickwinkel:
(In den meisten Fällen ist bei der Benutzung des Begriffes „Raum“ der gebaute Erfahrungsraum gemeint.)

1. Raum als Raum und Raum im Raum
Was ist ein Raum? Welche Kriterien muss ein Raum erfüllen, um als solcher erkannt und behandelt zu werden? In wie weit verändert sich unsere Wahrnehmung des Raums, wenn dieser seine Ausrichtung ändert, um eine Achse gedreht wird? Woran erkenne ich, wohin der Raum ausgerichtet ist, orientiere ich mich dabei an der Öffnung?
Was erfahre ich, wenn der Raum zum Beispiel auf dem Kopf steht, auf der Seite liegt, gekippt wird, seine Position also mehr oder weniger stark verändert wird?
In wie fern verändert sich unsere Wahrnehmung des Raumes, wenn dessen Eingang seine Position durch eine veränderte Wahl der „Bodenseite“ des Raumes verändert, er zum Beispiel durch einen vorherigen Kippvorhang auf die Rückseite des Raumes nun nach oben zeigt und eine befüllbare Form entsteht oder er von einer gewohnten nach oben gestreckten Form zu einer in die Breite gezogenen Öffnung wird, sobald der Raum auf einer der beiden Seiten liegt beziehungsweise er nach unten zeigt oder von einer Wand geschlossen wird, an die der Raum angerückt wurde? Was geschieht, wenn der Raum schräg gekippt, angelehnt, zugestellt wird? Bleibt der Eingang ein Eingang oder mutiert seine Funktion, seine Ausstrahlung, seine Durchlässigkeit? Was für Selektionen ergeben sich durch die Umstellung des Raumes, was lässt der Raum dann hinein und wem oder was bleibt der Zugang verweigert und wer oder was hat die Macht über die Positionierung von Räumen – auch im übertragenen Sinn als „Erfahrungsräume“, „Weiterbildungsräume“, „Wohnungsraum“ etc.?
Wie lassen sich „Vorderseite“, „Seitenseite“, „Rückseite“, „Boden“, „Decke“ neu definieren?
Auch die Position und Ausrichtung des Raumes innerhalb des großen Raumes, in dem er sich befindet, kann moduliert werden. Welche neuen Bedeutungsebenen ergeben sich daraus, wenn der Raum frei steht, an eine Wand angegliedert ist, im Verhältnis zu einer Raumecke steht, sich im Türrahmen befindet, sich aus dem Fenster bewegt, eine bestimmte Nähe zu anderen Gegenständen oder Personen im großen Raum aufweist?
Was spielen räumliche Abstände in der Lesart für eine Rolle?

2. Licht und Schatten
(Natürliche Lichtquelle wie Fenster, künstliche Lichtquellen wie Scheinwerfer, Kerzen etc., Abdunkelmaterial wie Vorhänge und Gegenstände die auf den Raum gespiegelt werden können)
Abgesehen davon, dass die Plexiglaswände des Raumes bei Lichteinfall Spiegelungen abbilden, welche untersucht werden können – Welche verschiedenen Auswirkungen haben bestimmte Spiegelungsmuster auf die Atmosphäre und die Bedeutung beziehungsweise Lesbarkeit des Raumes? Wer oder was kann sich wie wo spiegeln (auch im übertragenen Sinn diskutierbar)? Etc. – kann durch Einbringung einer oder mehrerer Lichtquellen zusätzlich zum natürlichen Licht und der Möglichkeit den Raum durch Vorhänge und Ähnliches abzudunkeln oder zu dimmen ein Experimentierfeld eröffnet werden, welches die Erzeugung von Stimmungen und Bedeutungsspielräumen allein durch Licht und Schatten erfahrbar machen kann. Personen und Gegenstände können dabei zusätzlich als Projektionsflächen im Verhältnis zum Raum bilden und ebenfalls Schatten werfen. Bewegung von Personen und Gegenständen im Verhältnis zum Raum oder auch nur des Raumes selbst während der Beleuchtung beziehungsweise im Schatten oder Halbschatten kann das Lichtspiel noch interessanter gestalten.

3. Zeigen und nicht zeigen
(Decken, Stoffe, Folien, Klebeband, Rasierschaum oder Ähnliches, was eine partielle Abdeckung oder Umhüllung des Raumes ermöglicht und Gegenstände um den Blick auf den Raum zu verstellen) Welchen Ausschnitt des Raumes sehe ich?
Wie verändert sich meine Wahrnehmung des Raumes, wenn Teile dessen verdeckt, abgedeckt, verhängt, umwickelt, umhüllt, verstellt, versteckt werden? Welchen Ausschnitt zeigt ein Künstler/eine Künstlerin und was bleibt bewusst unaufgedeckt? Was wird durch die jeweilige Ausschnittauswahl bewirkt? Letzteres kann anhand der Raummodulation zuerst selbst ausprobiert und anschließend an weiteren Kunstwerken besprochen werden.

4. Material und ich
(Elemente wie Wasser, Erde, Materialien wie Ton, Papier, Schnüre, Schaumstoff etc., welche gut vom eigenen Körper bewegt oder verformt werden können) Denkbar ist es ebenfalls, den Raum mit bestimmten Elementen, zum Beispiel Wasser, oder verschiedenen Materialien, zum Beispiel Ton zu befüllen und die Stofflichkeit desselben zu untersuchen sowie Assoziationen nachzugehen und die Wirkung zu versprachlichen. Hierzu bietet es sich an, dass SchülerInnen den jeweiligen Stoff am eigenen Körper erfahren. Auch wenn zeitlich gesehen nur wenige SchülerInnen die Möglichkeit haben sollten tatsächlich selbst im Raum mit dem Material in Kontakt zu kommen und die Erfahrung zu machen, dieses mit jeder eigenen Bewegung aufgrund der begrenzten Maße des Raumes dieses mehr oder weniger zwangsläufig zu verformen, also die Konsistenz und Verhaltensweise des Stoffes auf einer sehr sinnlichen Weise erleben beziehungsweise den starken Bezug zwischen eigenem Handeln und Veränderung der Umwelt erleben können, stellt es auch für die jeweiligen Zuschauer des Entdeckungsprozesses der sich im Raum Befindenden eine interessante Erfahrung dar lediglich aufmerksam zu beobachten und sich anschließend mit den „Testpersonen“ auszutauschen und eröffnet auch diesen eine sehr persönliche und neue Zugangsmöglichkeit zu Material und Element an sich und eine neue Klarheit über zum Beispiel den Zusammenhang zwischen Handeln und Verformen.

5. Was ist – ab wann ist es Performance?
Hierbei geht es darum, eine allgemeine Definition von Performance zu erarbeiten und bestimmte Aspekte derer mit Hilfe des Raumes selbst auszuprobieren und damit detailliert nachzuforschen. Die SchülerInnen können im Spiel mit dem Raum, eigene Performances entwickeln, welche gezeigt und besprochen werden. In meinen Augen stellt ein interessanter Knackpunkt bei der Definition der Performance dar, sich zu fragen: Ab wann genau, ab welcher kleinen Zutat nehme ich eine ausgeführte Handlung als Performance wahr? Ist es bereits eine Performance, wenn sich ein(e) SchülerIn vor der Klasse in den Raum stellt? Wie ist es möglich, dass ein und diese selbe Geste einmal sehr wohl als Performance wahrgenommen wird und das zweite Mal überhaupt nicht? Was für Unterschiede gibt es in dem Grad der Bewusstheit, der Präsenz, der Körpersprache, wenn die Wirkung einer Performance erzielt werden soll oder es sich um eine beiläufige private Handlung handelt den Raum zum Beispiel zu betreten? Kann ein Handlungsablauf aber auch bewusst beiläufig und privat ausgeführt werden und ist allein durch die Bewusstheit des Konzepts letztendlich doch eine Performance?

6. Selbstwahrnehmung – Fremdwahrnehmung
Dieser Aspekt des Raumes hat viel mit dem vorherigen Punkt der Performance zu tun. Der Fokus liegt nun allerdings weniger auf dem Zeigen eines Handlungsablaufes sondern mehr auf der eigenen Wahrnehmung dieses Handlungsablaufes. Es bietet sich an, bei einer mehrstündigen Arbeit mit dem Raum den Aspekt der Performance und der Selbst- beziehungsweise Fremdwahrnehmung aneinander anzuschließen und miteinander zu verknüpfen.
Wie fühle ich mich, wenn ich mich im Raum befinde und bewege? Welchen Bewegungsspielraum gibt mir der Raum in seinen Maßen vor? Welche Körperhaltung, zum Beispiel aufrecht stehen, muss ich durch ihn aufgeben und welche neue Haltung, eventuell gebückt, gekrümmt, zusammengerollt etc., nehme ich durch ihn an? Was macht diese Haltungsveränderung innerlich mit mir?
Wie agiere ich, sobald sich eine zweite oder dritte Person mit mir im Raum befinden? In wie fern müssen wir unser Bewegungsspektrum aneinander anpassen? Was passiert bei Nicht Anpassung? Wie kann ich die gemachten Wahrnehmungserfahrungen auf mein Kunst schaffen anwenden? Worauf werde ich das nächste Mal, wenn ich eine Skulptur oder Installation und ähnliches entwerfe genauer achten?
Wie kann ich die gemachten Wahrnehmungserfahrungen auf die Lesart von Kunst anwenden? Welche körperlichen Aspekte werde ich mir bei der Analyse eines Werkes genauer ansehen?
Das Phänomen kann wie bereits oben angesprochen ebenfalls von einem Teil der Gruppe am eigenen Körper und vom Rest der Gruppe im Beobachten und anschließenden Austausch mit der ersten Gruppe auch als aktiver Zuschauer empfunden werden.
Bei dem Austausch der Gruppe ist es besonders interessant, auch den Unterschied zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung zu erörtern und diesen in Bezug auf Kunst schaffen und Kunst erleben zu diskutieren.

7. Exklusion und Inklusion in Kunst und Gesellschaft
Welche räumliche und inhaltliche Situation schafft der Raum, sobald sich verschiedene Personenkonstellationen im großen Raum mit dem Raum bewegen? Beispiel: Zwei Personen befinden sich im Raum, der Rest der Gruppe befindet sich um den Raum herum im großen Raum. Oder: Niemand befindet sich im Raum, jeder steht in einem unterschiedlichen Abstand zum Raum im großen Raum.
Bei diesen Konstellationen kann ist es interessant zu diskutieren: Was drückt die jeweilige Position für mich aus? Wie fühlt man sich an welcher Position? Was für eine Dynamik entwickelt sich in der Gruppe? In wie fern spiegelt die Konstellation die unsichtbare Konstellation der Gruppe wider? Wie lässt sich eine Konstellation bewusst durchbrechen oder subtil verändern? Wie viele Personen passen in den Raum und wie viele müssen draußen bleiben?
Wo gibt es in der Gesellschaft vergleichbare Räume im übertragenen Sinn und für wen sind diese zugänglich, für wen nicht? In welchen Kunstwerken werden gesellschaftliche Dynamiken im Hinblick auf Inklusion, Exklusion, Integration etc. thematisiert? Fruchtbar ist es, wenn jeder mehrere Positionen ausprobieren kann.

8. Erfahrungsraum
(Gegenstände/Materialien/Audio etc., gerne auch von den SchülerInnen selbst mitgebracht und persönlich, mit denen eine Erfahrungswelt in Zusammenhang gebracht wird oder neu damit konzipiert werden kann) Was ist ein Erfahrungsraum? Wie leer oder voll muss dieser sein? Diese Überlegungen können nach der Untersuchung anhand des Raumes dazu führen, dass die SchülerInnen selbst Erfahrungsräume als Modell oder in Echtgröße bauen.

9. Fokus auf Ausgestelltes
(Gegenstände/Materialien zum Ausstellen im Raum)
Worauf lenkt der Raum meinen Blick?
Worauf legt der Raum einen Fokus in meiner Wahrnehmung?
Wie verändert sich die Bedeutung und Lesart eines Gegenstandes oder einer Person je nachdem, ob es oder sie sich in oder außerhalb des Raumes befinden? Welche Bedeutungsebenen und Kontexte spielen dann plötzlich eine Rolle oder auch nicht mehr?
Vergleiche können angestellt werden: Ein Stift im Raum – ein Stift im Mäppchen, eine Hand in den Raum hineingestreckt – eine Hand an SchülerIn X.